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#Des einen Freud, des anderen Leid

Des einen Freud, des anderen Leid

Wien im Jahr 1907, wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg: Umbruchszeit, Niedergang der Monarchie, Blütezeit der Separationsbestrebungen. Rückwärtsgewandter Historismus und schneidiger Militarismus treffen Fin-de-Siècle-Müdigkeit und Dekadenz. Wer will, sieht einen konsequenten Aufbruch in Architektur, Musik und Literatur – und eine politische Radikalisierung, die verschiedenen Bewegungen nützlich ist. Ein gewisser Dr. Freud stellt die Neurologie auf den Kopf und macht sich Feinde sondergleichen. Der Skandal gehört zur Tagesordnung, nicht nur der Zeitungen. Die „Versuchsstation des Weltuntergangs“ (Karl Kraus) gibt, kulturgeschichtlich gesehen, einen prächtigen bebilderbaren Prospekt für Kriminalfall-Verfilmungen ab. Ebenso wie jenes Berlin wenig später, das die opulenter und länger angelegte Serie „Babylon Berlin“ malt.

Szenisch und geistesgeschichtlich verlebendigt die mit großer Akkuratesse und an Originalschauplätzen gedrehte historische Kriminalfilmreihe „Vienna Blood“ die Zeit um 1900 in vielerlei Hinsicht. Nach den Romanen „The Liebermann Papers“ von Frank Tallis entstanden, stammen die Drehbücher vom Autor der „Sherlock Holmes“Reihe mit Benedict Cumberbatch, Steve Thompson. Die verhandelten Kriminalfälle sind durchweg als psychoanalytisch angehauchte Puzzles konzipiert, deren fehlende Teile von dem leicht verlotterten, schicksalsgeprüften Polizisten Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer) und dem „Profiler“ und Freud-Anhänger, dem ernsten jungen Arzt Max Liebermann (Matthew Beard) gemeinsam gefunden werden müssen. Gelegenheit, um in Theatern und Bordellen, Kunstausstellungen und Militärakademien zu ermitteln. Und nachts in finsteren Gassen auf Kopfsteinpflaster überfallen zu werden. Die unmenschliche Praxis der Elektroschockbehandlungen von seelisch Erkrankten wird in Liebermanns Assistenzarztalltag vorgeführt. Dort macht ihm Professor Gruner (Oliver Stokowski), allem Anschein nach ein Sadist voll verdrängter Sexualität und Aggressionen, das Leben schwer. Polizist Rheinhardt kämpft hingegen mit sich selbst, seiner tragischen Vergangenheit und einem übereifrigen Kollegen, Inspektor von Bülow (Raphael von Bargen), öffnet sich aber mehr und mehr für die Methoden des jungen Liebermann.

Der Blick auf Wien ist der von Außenseitern

Gelungenes Szenenbild (Bertram Reiter) und Kostüme (Thomas Oláh) sind in „Vienna Blood“ die halbe Miete, aber auch Kamera (Andreas Thalhammer und Xiaosu Han) und Regie (Umut Dag) machen die auf Englisch gedrehte Reihe, der sicher weitere Fälle folgen dürften, überdurchschnittlich ansehnlich. Der Blick auf Wien ist der von Außenseitern, die mit den Codes der besseren Gesellschaft nicht vertraut sind – und dieses Mal Beobachtete und Diskriminierte bleiben, weil sie, die Liebermanns, aus London zugezogene Juden sind – in doppelter Hinsicht keine „Einheimischen“. Wie Gustav Mahler. Als der Komponist und Hofoperndirektor in der Folge „Königin der Nacht“ abends höchstselbst im Konzertsaal erscheint, um für den erkrankten Pianisten einzuspringen, applaudieren allein die Liebermanns. Im Publikum eisiges Schweigen.

Wir sind in Lueger-Wien. Karl Lueger, der aggressiv antisemitische Vertreter der Christlichsozialen, bewundert und getragen von den Stimmen der „kleinen Leute“, ist in gleich mehreren Wahlgängen gewählt worden, da sich Kaiser Franz Josef immer wieder geweigert hatte, der Ernennung zum Bürgermeister zuzustimmen. Luegers Popularität half die Ablehnung des Greises in der Hofburg sehr, genau wie seine als „volkstümlich“ überlieferten Aussprüche („Wer ein Jud ist, bestimme ich“).

Der erste Zionistenkongress in Basel, initiiert vom Journalisten Theodor Herzl, ist kein Jahrzehnt her. Noch ist der Zionismus eine exotische Bewegung. Bürger jüdischer Herkunft und Glaubens sind nicht nur assimiliert, sondern tragen den Fortschritt in den Wissenschaften und den Künsten wesentlich. Die Stimmung in Wien wird zunehmend explosiv. Nicht nur Juden, sondern auch die aus vielen Teilen der K.-u.-k.-Monarchie zugewanderten „Fremden“ sehen sich geschmäht und verfolgt. Besucher des „Beethovenfrieses“ von Gustav Klimt entsetzen sich – wie im ersten Teil von „Vienna Blood“, „Die letzte Séance“, zu sehen –, ob der „Zügellosigkeit“ der dargestellten Albträume, goutieren aber das „Schweinische“ von Herzen. Skandalös sind die Zustände im Bereich der Prostitution, wie sie Peter Altenberg beschreibt. Viele der von schlimmen Krankheiten gezeichneten Mädchen sind halbe Kinder.

Der zweite Fall, „Die Königin der Nacht“, nimmt denn auch von einem Prostituiertenmord seinen Ausgang. Rheinhardt ermittelt schnell einen mutmaßlichen Täter, einen geistig beschränkten Mann. Dann geschehen weitere Morde, mit blutiger Signatur. Die Spur führt zu einem rassistischen Runenkult – und zu einer Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“, die offenbar als Mordmuster herhalten muss. Es geht über Stiegen und in Beiseln, zur dynamisch gereichten Schnellanalyse und zur Verbreitung der „Redekur“, wendungsreich, farbenfroh, anschaulich. Vergrübeln muss sich hier niemand. Der Inspektor ist ein alter, einsamer Wolf; der junge Max sieht sich hin- und hergerissen zwischen der jugendlich frischen blonden Clara Weiss (Luise von Finckh) und der ehemaligen Patientin mit dunklem Geheimnis und brünettem Haar, Amelia Lydgate (Jessica De Gouw). Zusammen bilden sie das kriminotorische Paar des Desillusionierten und des motivierten Springinsfelds. Jeder der drei Fälle führt in unterschiedliche Abgründe, ganz wie bei „Sherlock Holmes“. Und dass die Musik (Roman Kariolou) hie und da leitmotivische Zitate beim „Dritten Mann“ borgt, wertet das Detektivspielspektakel zusätzlich auf.

Vienna Blood, Sonntag, 22.15 Uhr, im ZDF

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